Nach dem Tod der Mutter lebt Merle mit ihrem Vater, einem Maler, im Wohnwagen. Als sie schulpflichtig wird, machen beide für einige Zeit Station in dem Dorf Hollerup. Konfrontiert mit ländlicher Selbstgerechtigkeit und Ordnung, gibt Merles stille Gradlinigkeit Anlaß zu Konflikten. Gleichzeitig bieten Regelmäßigkeit und Freundschaft ihrer Kreativität und Phantasie einen Rahmen und feste Bezugspunkte. Doch der Abschied ist mehr erwünscht als gefürchtet. Merle und ihr Vater ziehen weiter.
Lange Jahre waren für die bundesrepublikanische Kinderliteratur unangepaßte Kinder fast ausschließlich Fallbeispiele sozial bedingten Außenseitertums. Erst die verstärkte Hinwendung zur individuellen Befindlichkeit einzelner Kinder läßt Schilderungen wie Marlies Bardeiis „Merle kann nicht singen“ wieder zu.
Die Episoden ihres ungewöhnlichen Lebens klagen weder an, noch rufen sie direkt zur Veränderung auf. Bilderverkauf auf dem Wochenmarkt, einfallsloser Unterricht, ein herbstliches Stoppelfeld beweisen keine gesellschaftlichen Defizite, sondern den inneren Reichtum eines Kindes, das seiner selbst inne und sicher wird. Stille im Kinderbuch war jahrelang weder Wert noch Tugend, weil sie notwendige Anklagen zu verschweigen schien. Merle kann nicht singen wie die anderen. Sie schweigt vorläufig, um später einmal ihr eigenes Lied zu komponieren.